Calcio Popolare: Geboren als Reaktion gegen die Kommerzialisierung und Spektakularisierung des modernen Fußballs, findet die Bewegung immer mehr einen Platz innerhalb der Fußball Landschaft Italiens. Einer Ihrer Vertreter ist Centro Storico Lebowski. Ein von Fans geführter Verein im Süden Florenz.

Selten wartet man an einem Sonntag morgen gegen 12 Uhr alleine an der Piazza Santa Maria Novella auf den Autobus Linie 37 gen Tavarnuzze. Ziel der Fahrt ist mit Sicherheit für einige Fahrgäste das Stadio Luigi Nesi, die Heimspielstätte von Centro Storico Lebowski. Calcio Popolare ist mittlerweile ein Begriff der mehr als nur ein Nischendasein pflegt und mit Lebowski einer der prominentesten Vertreter der Bewegung sein eigen nennt. Alleine die halbstündige Busfahrt ist schon ein erstes kleines Erlebnis. Von der Touristen-gefluteten Innenstadt über den Arno durch die Citta Alta, raus aus Florenz. Viele kleine Cafes pflastern den holprigen Weg, italienisch, unaufgeregt piano, besiedelt durch die Locals die sich erstmal einen Espresso gönnen. Dolce Vita eben und Herz was willst Du mehr.

Kaum in Tavarnuzze angekommen spürt man direkt wieso es die Menschen zu diesem besonderen Ort immer und immer wieder zusammenbringt. Hier dreht es sich nicht nur um Fußball, eher ein Get-together in all seinen Variationen. Egal ob ein gemeinsames Essen mit der Mannschaft vor dem Spiel oder der obligatorische Grappa an der Bar mit Freunden. Es verleiht einem direkt das Gefühl einer großen Familie. In Kooperation mit ASD Tavarnuzze nutzt man nicht nur das Stadion per se, sondern war und ist aktiv an der Gestaltung der Spielstätte und mehr beteiligt. So ziert z.b. ein großer CSL Schriftzug den Zuschauerrang; wenn das Wetter mitspielt verkaufen Supporter selbst gemachtes Essen für Supporter sowie auch den eigenen Merch. Erfolgreich veranstaltet man die Reihe “Sagra del fritto misto”, eine kulinarische Reise in ein Allerlei frittiertes. Die Jugendmannschaft spielt immer wieder um den Titel in Ihrer Klasse und das Frauenteam findet immer mehr Zuwachs. 2013 wurde eine Fußballschule inmitten der Suburbs von San Frediano gegründet. Ausschlaggebend war der Tod eines engen Freundes “Bollo”, nach dessen auch die Schule benannt ist: La scuola calcio Francesco Bollo. Für 50€ im Jahr können Kids genau das erleben was den puristisch-traditionellen Fußball vergangener Tage ausgemacht hat: Weg von Ego und Starallüren, Spaß am Calcio sowie Förderung der Gruppe und des Teamgedanken.

Calcio kostet mittlerweile auch in den Niederungen ordentlich Lira. Schätzungen zufolge wird eine sechsstellige Summe jährlich aufgebracht, um all die Kosten zu tragen, die man für einen reibungslosen Spielbetrieb benötigt. Auswärtsfahrten, Jugendmannschaften, Frauenmannschaft, Bewirtung, Merch usw. Die Öffnung und Verwandlung des Clubs in eine Vereinigung schaffte für Menschen aus aller Herren Länder eine Möglichkeit den Club monetär zu unterstützen. Durch die Erwerbung einer Art Share ist man nicht nur als Mitglied beteiligt sondern hat ganz der grundsätzlichen Idee auch Mitspracherecht im Verein, egal wie hoch der Einsatz ist.

Jährlich wird ein “Long Distance Member Treffen” veranstaltet um jene positiv verrückten nach Firenze in die Toskana zu locken. Auf den Spuren der Ursprünge werden ein Wochenende lang Aktivitäten rund um die Geschichte des Vereins angeboten, abgerundet durch ein Heimspiel am Sonntag nachmittag. Mitglieder aus Berlin, Venedig, Bologna, Roma, Schweden, Griechenland fanden letztes Jahr den Weg nach Firenze um an der Festivität teilzunehmen. Natürlich waren auch Vertreter der Coloniacs aus Köln am Start, zu denen man seit Jahren eine sehr enge Freundschaft pflegt. So ist es nicht verwunderlich wenn auf einmal der Dude in der Kölner Kurve auftaucht.


zu lesen auch in der Juli 2020 Ausgabe des Ballesterer Magazins

Centro Storico lebt die Prinzipien der Gegenbewegung durch und durch, womöglich noch darüber hinaus. Woche für Woche, seit mittlerweile fast 16 Jahren, supporten die “Ultimi Rimasti Lebowski (die letzten Übriggebliebenen)” ihr Team und haben aus Ablehnung der glitzernden, Geld bestimmten Serie A den Rücken gekehrt. Entstanden ist ein Verein der all das widerspiegelt, nach dem sich immer mehr sehnen. Einen Ort, der für Selbstbestimmung, Freiheit, Solidarität, Verantwortung und flache Hierarchien steht. Einen Ort, der Menschen zusammenbringt und glücklich macht frei von Homophobie oder sozialer Stigmatisierung. Den Fan weg von der Inferiorität zurück zu dem was er eigentlich sein sollte: Gleichgestellt in und mit allen wirkenden Instanzen !

Sechs Spieltage vor Schluss kämpfte man also um den nächsten Coup. Punkte sammeln Richtung Eccellenza, der fünfthöchsten Spielklasse Italiens, was definitiv der größte Erfolg in der Vereinsgeschichte wäre. Probleme hatten die Jungs und Mädels der URL nie, wenn Sie Ihr Team auswärts mit Pyro, Trommeln und 90 Minuten Dauersupport unterstützen. Dies änderte sich schlagartig nach dem Spiel in Piombino durch einen Zusammenstoß mit der örtlichen Polizei. Augenzeugen sprechen von einem provozierendem Vorgehen der Staatsmacht mit Personalienaufnahme seitens der URLs. Der Verein stand somit auf der Liste des Innenministeriums und hat seit Mitte Januar mit den Auflagen zu kämpfen, die für die Lebowskis in keinster Form tragbar sind. Sei es durch kontrollierten Ticketverkauf und Überwachung der lokalen Präfektur bis hin zu gar dem Kompletten Ausschluss der Awaysupporter. Die Perversität an der ganzen Sache: So wurde z.b das Spiel bei Atletico Etruria mit dem Serie A Klassiker Juventus gegen SSC Napoli ,aufgrund eines “O-Ton des Innenministeriums: hohen Risiko Profils”, gleichgestellt. Plötzlich spürt man genau das, welches einer der Hauptgründe war sich dem Profifußball zu entziehen: Repression der Staatsmacht.

Es war wahrlich ein schwieriges Unterfangen in diesen Tagen wenn es um den Support bei Auswärtsspielen ging. Hatte man in den ersten beiden Begegnungen komplett darauf verzichtet die Mannschaft zu begleiten, prägten sich die Bilder zum Spiel bei Armando Picchi in die Gedächtnisse vieler Beteiligten ein. Egal ob Spieler, Tifosi oder jene die über diverse Kanäle Bilder und Videos zugespielt bekommen haben. Mit 2 Pullmans und vielen Privatwagen fuhr man nach Livorno um der Mannschaft nahe zu sein. Ale war einer von Ihnen an diesem ehrwürdigen Sonntag und schildert die Eindrücke auf seine Art und Weise:

Es war eine verrückte und gleichzeitig schöne Erfahrung.

Ich hatte noch nie 400 km zurückgelegt, um KEIN Fußballspiel zu sehen. Eine Erfahrung, in der die “Grigio Nero” erneut ihre wunderbare Vorstellung vom Fußball unter Beweis stellten. Ihre Antwort auf die Repression des Verbands war farbenfroh, festlich, stimmungsvoll und alles lief sehr geordnet ab. Knapp 200 m entfernt vom Armando-Picchi Stadion hatte man sich getroffen und die Spieler sagten uns danach, daß Sie unsere Stimmen auf dem Feld gehört haben.

Wir haben gegessen und getrunken, aber vor allem haben wir 90 Minuten lang gesungen, um genau diese Atmosphäre wiederherzustellen, die die Curva Moana Pozzi immer geprägt hat.

Der Moment maximaler Emotionen war, als der Teambus anhielt und wir mit allen Spielern und Mitarbeitern 20 Minuten lang laut gesungen haben. Ich bin mir sehr sicher, dass ich diese SEHR “besondere” Reise mit Lebowski NIE vergessen werde.

Nicht das die Repressionen für Lebowski schon genug gewesen wären, Nein, wir alle wurden hart von COVID getroffen und befinden uns immer noch in einer Schockstarre. Der Fußball steht weltweit still und hat natürlich auch die Grigio Nero getroffen. Marco, einer der Mitbegründer der Bewegung, berichtete etwas von den Verhältnissen und dem Alltag mit dem Virus. Man kann behaupten, daß die Saison der ersten Elf mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit abgebrochen wird. Auch die Abenteuer der Jugendmannschaften als auch die Fußballschule erleben in den vergangenen Wochen ein jähes Ende. Wichtige Einnahmen wie das bereits erwähnte “Sagra del fritto misto” oder gar Sponsorengelder fallen wohl komplett weg. Man ist mehr als denn je auf seine Mitglieder angewiesen um Lebowski weiterhin zu ermöglichen und am Leben zu erhalten. So hat man eine Kolumne über soziale Netzwerke mit dem Namen “A Casa col Drugo” eingeführt, in der Mitglieder und Mitarbeiter oder Personen, die dem Dude nahe stehen, von ihren fast 16-jährigen Abenteuern erzählen. Es geht um Reisen durch Europa, die Toskana, unvergessliche Spiele, persönliche Erfahrungen aus der Welt von Lebowski, den Geist der Brüderlichkeit, der die Freiwilligen der Saga vereint. Neben all den Aktivitäten rund um Social Media bieten Mitglieder kostenlose Angebote an, wie z.b. den Rechtsbeistand für Fragen rund um Mietzahlungen oder gar Online-Schulungen für Kinder. Telefonnummern wurden bereitgestellt um eine Bandbreite an Hilfsmöglichkeiten für lokal Ansässige abzudecken um die außergewöhnliche Situation erträglicher zu machen. Man kann nur hoffen, daß die Reise weitergeht und man wieder lautstark und farbenfroh Sonntag für Sonntag das versprüht, was den Geist um Lebowski ausmacht. 

Abschließend gibt es nur eines zu sagen: Forza Lebowski, sempre nel cuore !

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