Er gab keine Autogramme, nicht mal kleinen Kindern. Eine politische Geste, programmatische Ablehnung gegen all dies was gerade in seinem Land Italien passierte.

“Dare valore a cose che non ne hanno alcuno” – “Einer Sache Wert geben, welche keinen Wert hat”.

Paolo Sollier

Gegen die Idolisierung von Sportlern, speziell Fußballern, polarisierte Paolo Sollier, gefeierter Held aber auch Anti-Held der Nation. 

Paolo und “Il Manifesto”

Gehasst von den Laziali u nd den Faschisten, gefeiert von all seinen Comrades, war die geballte Faust sein politischer Ausdruck und zugleich Gruß an Gleichgesinnte. Es spielte dabei keine Rolle ob Heim- oder Awayfans. Die Geste und nur die Geste brachte zum Ausdruck was und wie er dachte.  

Geboren 1948 in Vanchiglietta, einem Distrikt Turins, entschloß sich Sollier für ein Politikwissenschaftsstudium und tauchte in die studentische 68er-Szene ein. Wieso er direkt nach einem Jahr sich lieber ans Fließband in den Mirafiori Werken von FIAT stellte und das Studium schmiss, weiß wohl er nur selbst am besten. Nebst dem Blaumann trug Paolo zu dieser Zeit das Jersey des Serie C Clubs Cossatese von 69 – 73. Fußballer by Chance und Awareness für das Proletariat gingen bei Ihm Hand in Hand ohne beide Elemente zu vermischen. Stattdessen engagierte er sich politisch und sozial. In seiner alten Heimat leistete er Helferstunden in einer kritisch-katholischen Organisation namens Mani Tese. Die Erkenntnis daß Wohltätigkeit keine gesellschaftlichen Veränderungen bringen kann, lies aber nicht lange auf sich warten. Es mußten also andere Formen des politischen Widerstands herhalten um manifestierte Kräfteverhältnisse in Italiens Regierungslandschaft zu verändern. 

Über die Station ProVercelli verschlug es Sollier schlussendlich 1974 zu Perugia Calcio, welches damals der Serie B angehörte. Mit scharlachroten Trikots, weißen Hosen sowie für 70 er Jahre typische Pornobalken, errang das “Team voller Wunder” Sieg um Sieg und stieg zum ersten Mal in die italienische Teppichetage samt Glitzer auf, der Serie A. 

Sollier in Perugia

Hinter den Kulissen formte Sportdirektor Silvano Ramaccioni ein durchaus erfolgreiches Team, welches Ilario Castagner in der ersten Saison auf einen hervorragenden 8ten Platz brachte. Zwei Jahre später streichelte man sogar am Scudetto (welcher an Milan ging) und ging mit dem Titel “Il Perugia dei Miracoli” in die Geschichtsbücher ein, als erstes Team der Serie A, kein Spiel zu verlieren.

AC Perugia 1974-75

Im Zuge des Scheinwerferlichts der höchsten Liga Italiens bekam Paolos politische Geste der Faust natürlich automatisch mehr Aufmerksamkeit, welches Ihm half eine lokale Dependance der Avanguardia Operaia in Perugia aufzubauen. Einer außerparlamentarischen Organisation, welche von der extremen Linken 1968 in Milan gegründet wurde. Man sah sich als eine Arbeits-leninistische Plattform der Arbeiterklasse welche zum Gegensatz der studentischen Bewegung Italiens stand. Mit kleinen Büros in Rom, Trento sowie Solliers Gründung in Perugia, erreichte man bis Mitte der 70iger Jahre beachtliche Erfolge, bevor man 1975 mit anderen Bewegungen zur Democrazia Proletariat fusionierte.

Democrazia Proletaria

Weg von seiner stark verbundenen Heimat Turin, fühlte er sich praktisch wie in einer traumatischen Passage, alleine und in einer Stadt, welche dann doch nicht vergleichbar mit dem war, was er in Piermonts Großstadt vorfand. Geholfen hat Ihm die politische Arbeit in der Organisation. So hielt er Vorlesungen in Schulen als auch in Fabriken. Hing Poster an Universitäten auf, lebte in einer Kommune und nahm an lokalen Vorträgen teil. Das Geld und der Fame haben Ihn also nicht verformt, wie so viele. Nicht als Mensch und nicht in dem was er seiner Außenwelt mitteilen wollte.

Sollier war ein schüchterner und zugleich schwieriger Typ Mensch. Er verfolgte das Credo, daß Kritik zu jeder Zeit und zu jedem Thema immer einen Platz haben sollte, was eher konträr zur Gesellschaft stand. Auf der Beliebtheitsskala war für Ihn deshalb eher weniger der Platz an der Sonne reserviert. Wie schon erwähnt gab er weder Autogramme, noch sah er sich als Idol oder Vorbild, kritisierte sogar den eigenen Supporters Club, welcher zur damaligen Zeit nur deswegen etabliert wurde um im Stadio für etwas Stimmung zu sorgen. 

Die erste richtige Ultra Gruppe Perugias wurde erst in der Saison 1978/79 durch die “Red Army” in der Kurve sichtbar. Markenzeichen war der rote Stern, welcher bezüglich der extrem linken Ideologie zur damaligen Zeit gewählt wurde. Unser Protagonist hatte natürlich auch seinen Anteil daran, welcher natürlich für die Curva genau dieser Held verkörperte.

Klingt vllt etwas runder? In der Curva wurde Sollier als Held verehrt, daran hatte er mit seinem Charisma und vermittelten Ideologie letztendlich einen erheblichen Anteil.

Für die Presse wurde Sollier schnell zum “ultra-roten” Fußballer erhoben, der Genosse, der Kommunist. In der Umkleidekabine wurde er von seinen Mitspielern gar Mao genannt. Wohl wahr repräsentierte kein anderer Fußballer zu jener Zeit das eigene politische Commitment als auch die Professionalität zum Fußball in solch einer Symbiose. 

Natürlich haftete somit recht schnell ein Label an Ihm, welches Paolo aus seiner eigenen Sicht wahrnahm, in Ihm aber eine außergewöhnliche Natur betont wurde, welches Sollier deutlich von anderen Fußballern abgrenzte.

In seinem 1976 erschienenen Buch “Calci e sputi e colpi di testa – Riflessioni autobiografiche di un calciatore per caso”, welches eine Art Autobiografie seiner aktiven Fußballerzeit beleuchtete, schrieb er auch darüber wie schwer es war für Ihn sich mit seinen Mitspieler zu sozialisieren. Zwar war man auf dem Feld eine Einheit, verkörperte doch jeder außerhalb des Platzes seine eigene Ideologie und Freundschaften waren eher lose und oberflächlich. 

Paolo’s Buch

Dieser gelebte Individualismus war für Sollier der wahre Evil, welches jeglichen sozialen Gedanken die komplette Energie entzieht und somit Strukturen fördert, die weder für seine eigene Konformität noch seiner Integrität stehen.

Sollier merkte schnell, daß die Glamourwelt des Fußballs im Widerspruch mit seinen Ansichten stand. Hoch anzurechnen sind trotzdem seine positive Sturheit den eingeschlagenen Weg weiter zu führen. So widmete er sich den Fans und began jene über die soziale Bedeutung des Sports aufzuklären, worüber er gleichzeitig führende politische Parteien kritisierte, da für diese sportliche Aktivitäten in Verbindung mit sozialer Gesellschaft keinerlei Bedeutung hatten. Er kritisierte die Politik, daß ausschließlich in den Profisport investiert wird, für den Unterbau nicht mal Geld für ein kleines städtisches Stadion übrig war. 

Er lehnte die Umwandlung von Perugia Calcio in eine Aktiengesellschaft ab, da nach Sollier die Struktur eines Fußballclubs nicht von der Stimmung und der Liebe eines einzelnen, reichen Mannes abhängig sein darf. 

Auch Gewalt in den Stadien war ein Thema für Paolo. So sprach er darüber, daß es seine Aufgabe ist, den Fans beizubringen die Riots einzudämmen. Er nannte die Qual der Arbeit und die politische Unreife als mögliche Ursachen warum es in den Stadien immer wieder und immer mehr zu Aggressionen und Ausbrüchen von Gewalt kam. 

Laziali mit Banner: “Sollier dia”

Im Interview mit Domenica Sportiva bekräftigt Sollier seine eigene Vision: Sport gilt nicht als Recht sondern seit Jahren nur als reiner Zeitvertreib. Lediglich der Spitzensport wird von der Politik gefördert, der große Rest darf sich mit wenigen Krümeln zufriedenstellen. Somit resultiert die Gewalt in den Stadien als direkte Folge sozialer Ungleichheiten in der Gesellschaft. Auch die Journaille bekommt sein Fett weg, würde Sie sich rein am Klatsch und Tratsch der Kicker, sowie dem rein informativen Ergebnisdienst bereichern. Ferner ist kritischer Sportjournalismus nicht existent und somit entkoppelt sich jener auch komplett von dem sozialen Gesellschaftsgedanken. 

Paolo Sollier war nicht der überragendste Fußballer seiner Zeit, mit Nichten. Er folgte seinen Grundsätzen, seiner Vision von Leben in der Gesellschaft. Dies passierte alles in einem Umfeld, bewandert von all den gesellschaftlichen Klischees, welche auch damals schon vorhanden waren und bis in die heutige Zeit sich weiter manifestierten.

Geld, schnelle Autos, Erfolg, Frauen und was noch alles zu einem akkuraten Fußballerleben dazu gehört. Unter all diesen Aspekten stach Sollier wie ein Dissident aus dem Fußballzirkus heraus. Aus einem System welches solche Typen wie Ihn nicht vorgesehen hatte, worin alles so selbstverständlich wie ein geskriptetes Puppenspiel ablief. Es gab und gibt nicht viele Fußballer die politisch aktiv waren und sind, welches Sollier auf die Frage, ob es denn heute schwieriger ist ein linker Aktivist zu sein, mit einem “Ich weiß es nicht beantwortet”. 

Lediglich Christiano Lucarelli wäre einer, der immer gesagt hat was er dachte. Lucarelli führte den AS Livorno seinerseits zum ersten Mal 2006 in den UEFA Cup, Torschützenkönig der Serie A, gefeierter Held der seine Tore auch mit dem kommunistischen Gruß feierte, gar das Wappen Livornos auf dem Unterhat sich stechen ließ und angeblich Ultras nach Riots bei einem Awaygame aus der U-Haft heraus kaufte.

Rar gesät sind sie also, die politisch aktiven Fußballer und Sollier ?

Er, bärtig und politisch engagiert, die Faust gegen Kapitalismus und Faschismus, lies sich nicht von seinem Lebensweg abbringen und verfolgte dies, im Amateurfußball und wenn auch nur kurz, in der Glitzerwelt des Profifußballs, war auch einer davon.

Grazie a te, Paolo ! 

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