Livorno ist tief gefallen. Nach langen Machtkämpfen, wirtschaftlichen Problemen und sportlichen Krisen ist der Klub nun im Amateurfußball gelandet. Eine Faninitiative möchte den Verein übernehmen, trifft aber auf den Widerstand der alten Führung und der Stadtverwaltung.

Mit ihren engen Gassen, den Jugendstilhäusern und den Kanälen erinnert Venezia Nuova, die Altstadt von Livorno, tatsächlich ein wenig an Venedig. Verlässt man das Viertel über die Brücke an der Piazza Cavour, landet man in der Via Indipendenza. Dort, an der Hausnummer 16, befindet sich die Heimat der AS Livorno. Auf der Geschäftsstelle herrscht seit Wochen Chaos, der ehemalige Erstligist steckt in einer Abwärtsspirale.Nach knapp 20 Jahren im Profifußball kämpfte Livorno in der abgelaufenen Saison gegen den Abstieg aus der drittklassigen Serie C. Nach einem katastrophalen Saisonverlauf verpflichtete der Klub zehn Spieltage vor Schluss Marco Amelia als neuen Trainer. Der ehemalige Tormann hatte schon einmal mit Livorno ein Wunder bewirkt, am 2. November 2006 erzielte er in Belgrad in der 87. Minute gegen Partizan den Ausgleich und ermöglichte so das Überwintern im UEFA-Cup. Doch diesmal konnte Amelia das Ruder nicht herumreißen, die 0:2-Heimniederlage gegen Pro Sesto am letzten Spieltag besiegelte den Abstieg in die Serie D. Livorno spielt nun im Amateurfußball.

Übernahmekandidaten

Die sportliche Misere ist die Folge der wirtschaftlichen Lage. Die Schulden liegen bei kolportierten drei Millionen Euro. Allein der Stadt schuldet die AS Livorno eine halbe Million an Stadionmiete. Bürgermeister Luca Salvetti entzog dem Verein Mitte Mai das Recht, das Stadio Armando Picchi zu nutzen. Die Verhandlungen verliefen bis Redaktionsschluss ergebnislos, derzeit verfügt der Klub also nicht einmal über eine Spielstätte.

Doch das ist nicht die größte Sorge in Livorno. Ende Februar beschloss die Eigentümerversammlung rund um Langzeitpräsident Aldo Spinelli, den Klub zu verkaufen. Spinelli war Anfang der 2000er Jahre maßgeblich am Aufschwung beteiligt, seit Jahren steht er für den Niedergang des Klubs. Seit Livorno die Käufersuche öffentlich machte, kursieren die Namen möglicher Interessenten in den Medien. Der ehemalige Präsident von Partizan Belgrad, Zoran Popovic, wurde ebenso genannt wie der indische Millionär Yoghesh Maurya und der Mailänder Immobilienunternehmer Franco Favilla. Neben den kolportierten großen Investoren gibt es jedoch auch einen ungewöhnlicheren Übernahmekandidaten: die Faninitiative „Livorno Popolare“.

„Die ständigen Schwierigkeiten und das Missmanagement haben zu einer immer größeren Frustration geführt“, schreibt die Initiative auf ballesterer-Anfrage. Im Oktober 2020 gegründet, engagieren sich aktuell rund 50 Fans bei „Livorno Popolare“. „Unsere Wünsche sind von der Klubführung ignoriert worden, also haben wir aktiv werden müssen, um dieses Taubheitsgefühl abzuschütteln.“

Noch vor einigen Jahren dominierte nicht die Taubheit, sondern eine laute Fankurve die Hafenstadt. Livorno war berühmt für die Stimmung, die Woche für Woche herrschte – egal ob beim einzigen Antritt im UEFA-Cup, bei den Spielen gegen die rechts dominierte Kurve von Lazio, den Derbys gegen Pisa oder dem Aufeinandertreffen mit den Freunden aus dem kalabresischen Cosenza. Die Ultras der „Brigate Autonome Livornesi“ gestalteten aufsehenerregende Choreografien – und als sie sich 2005 auflösten, sorgten ihre Nachfolger dafür, dass auch weiterhin bei jedem Spiel das Partisanenlied „Bella Ciao“ gesungen wurde.

Calcio Popolare – Kampf um die Stadt

An dieses linke Erbe will „Livorno Popolare“ anknüpfen. Die Fans sehen sich in der Tradition des calcio popolare, also einer Form des Fußballs von unten mit breiter Partizipation, demokratischen Strukturen und einer starken Anbindung an die Gemeinde. So soll eine traditionelle Stärke wiederbelebt werden: die enge Beziehung zwischen Klub und Stadt. Diese Nähe zeigt sich symbolisch in der Verwendung des dunklen Rots aus dem Stadtwappen als Klubfarbe ebenso wie beim Enthusiasmus der Einwohner, als Livorno 2004 nach 55 Jahren in die Serie A zurückkehrte. Damals tauchten 12.000 Fans bei der Partie gegen Milan das San Siro in Dunkelrot und Weiß. „Wir wollen den Klub der Stadt und den Fans zurückgeben“, heißt es im Manifest von „Livorno Popolare“. „Das beinhaltet die gesamte Zivilgesellschaft – vom Anrainer bis zum Ultra. Jeder, der die AS Livorno liebt, kann mitmachen.“

Durch eine möglichst breite Teilnahme soll im Klub Diversität geschafft werden, die Initiative positioniert sich gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und Klassismus. Auch die Führungsetage soll demokratisiert werden: Statt von einem Unternehmer oder einem Konsortium geführt zu werden, soll ein Kollektiv mit gewählten Vertretern über die Geschicke des Klubs entscheiden. Sobald das Minimalziel – das wirtschaftliche Überleben – erreicht ist, will die Initiative auf eine neue Philosophie setzen. Der Klub soll sich auf die Jugendarbeit konzentrieren, um die Bindung zur Region zu stärken und sich gleichzeitig aus den vermeintlichen Systemzwängen des modernen Fußballs mit seinen hohen Ablösesummen zu befreien. Vorbild der Initiatoren ist der Fanverein Centro Storico Lebowski, der in Florenz eine Fußballschule betreibt.

Das Übernahmeangebot an die AS Livorno beinhaltete eine sofortige Finanzspritze in Höhe von einer Million Euro. Diese Summe wollte die Initiative über ein Crowdfunding innerhalb von 30 Tagen sammeln. „Das wäre sicher nicht leicht geworden“, sagt Aktivist Lorenzo bei der Vorstellung der Kampagne auf Facebook. „Unsere Berechnungen haben aber gezeigt, dass wir das schaffen können.“ Mitte Mai lag das Angebot auf dem Tisch der Eigentümer mit der Bitte, innerhalb von einer Woche zu antworten. Doch eine Reaktion blieb aus. „Wir hätten uns zumindest eine Absage erhofft“, hieß es in einer Stellungnahme von „Livorno Popolare“. „Aber es ist gar nichts gekommen. Keine Antwort, kein Statement, nicht einmal ein Nein.“

Während weiterhin unklar ist, wie es mit der AS Livorno weitergeht, wollen sich die Fans noch nicht geschlagen geben. Sie haben sich mit den Verantwortlichen des Viertligisten Pro Livorno Sorgenti getroffen und schnell Gemeinsamkeiten gefunden, eine Zusammenarbeit steht im Raum. Dabei sollen der alte Klubname US Livorno 1915 und dessen dunkelrotes Wappen wiederbelebt werden. Doch die Stadt, die die Rechte am Wappen hält, stieg auf die Bremse. Bevor sie eine Neugründung zulasse, wolle sie sich mit Spinelli und der Rettung der AS Livorno auseinandersetzen. „Wir werden nicht aufgeben und weiter das Gespräch suchen“, sagt Alessandro von „Livorno Popolare“. „Das Wichtigste ist, dass wir eine Lösung für Livorno finden.“

Credits: Fotos by Florian Reischauer

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